Es kommt jetzt ein bisschen viel Theorie. Im wesentlichen geht es um die Frage, wie und wann ein Nebensatz durch einen gerundio, einen infinitivo und ein participio verkürzt werden kann. Das Thema kommt dann im Kapitel Konjunktionen nochmal pragmatischer, weil Konjunktionen eben einen Nebensatz einleiten. Des weiteren können alle drei infinite Verbformen fast die gleichen Nebensätze verkürzen, manchmal können das alle drei, manchmal aber auch nicht. Darüber werden wir im folgenden diskutieren.
Eine infinite Verbform hatten wir schon, nämlich den Infinitiv. Warum das Ding allerdings Infinitiv heißt, muss man nicht verstehen. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen modus infinitivus und wurde dann irgendwann eingedeutscht zu
Infinitiv. Infinitivus wiederum kommt von infinitus und das heißt alles mögliche z.B. unbestimmt, unbegrenzt, grenzenlos, unermesslich etc.. Der Autor würde sagen, der Infinitiv ist schlicht die Grundform des Verbes. Die Begriffe unbestimmt,
unbegrenzt etc. sind in den meisten Zusammenhängen, wo der Infinitiv benutzt wird, vollkommen sinnfrei.
Ist der Infinitiv Subjekt des Satzes, dann ist er eben so bestimmt oder unbestimmt wie ein Subjekt das nun mal ist.
Lesen ist seine Leidenschaft.
Autos sind seine Leidenschaft.
Lesen ist so bestimmt bzw. unbestimmt wie Auto.
Auch in seiner Funktion als Objekt erschließt sich einem spontan nicht die Unbestimmtheit.
Ich möchte schlafen.
Ich möchte einen Kuchen.
Schlafen ist in etwa so grenzenlos unbestimmt wie der Kuchen. Die Tatsache, dass schlafen hier im Infinitiv steht, weil es auf ein Modalverb folgt, macht es noch lange nicht unbestimmt. Linguistisch gesehen ist der Infinitiv zwar eine
interessante Erscheinung, denn es hätte sich angeboten, sowohl das Modalverb wie auch das Vollverb zu konjugieren, z.B. "Ich will weiß, was du gemacht hast", aber das ist nicht so. Auch beim erweiterten Infinitiv mit zu ist wenig
unbestimmt.
Der Autor gibt zu, Latein für Schwachsinn zu halten.
Was soll bei dem Verb halten nun unbestimmt sein? Auch bei einem Satz vom Typ "Wollen ist können" ist nichts unbestimmt. Ganz im Gegenteil, es ist sehr bestimmt. Die Aussage ist, dass JEDER alles kann, wenn er denn nur will. Das
entspricht der Redewendung wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, was wiederum der Aussage entspricht, dass da wo kein Wille ist, sich immer eine Ausrede finden lässt. Betrachtet man den Infinitiv in den konkreten Kontexten, wo er
verwendet wird, ist unbestimmt nichtssagend. Der richtige Ausdruck wäre Grundform des Verbes. Der Infinitiv ist die Form des Verbes, von der sich alle anderen ableiten.
Als infinite Verbformen bezeichnet man des weiteren das Partizip Perfekt und das Gerundium, wobei man bzgl. des Partizip Perfektes sich ebenfalls die Frage stellen kann, was daran infinit sein soll. Infinit, also unbestimmt, ist es nur als
Bestandteil des Verbes und da auch nur im Deutschen. In den romanischen Sprachen stimmt er nämlich in Genus und Numerus mit dem Substantif, auf das er sich bezieht, überein.
Der Kuchen wird gebacken.
Die Kuchen werden gebacken.
In diesem Fall "erbt" es die grammatikalische Person vom Hilfsverb. Steht es aber allein, dann ist es ein Adjektiv und es gibt nichts unter der Sonne, was noch näher bestimmt ist, als ein Adjektiv. Ein Adjektiv ist hinsichtlich Genus, Numerus
und Kasus bestimmt.
neutrum / Singular / Nominativ:
Zerstörte Autos standen auf der Straße.
neutrum / Plural / Akkusativ:
Ich sah die zerstörten Autos.
neutrum / Singular / Dativ:
Er verpasste dem zerstörten Auto einen Tritt.
Das Partizip Perfekt stimmt in Genus, Numerus und Kasus mit Substantiv, auf das es sich bezieht überein. Infinit ist da gar nix.
Tatsächlich infinit ist nur das gerundio, denn das gerundio ist ein Adverb und ein Adverb wird, zumindest in den allermeisten Sprachen, schlicht gar nicht flektiert. Beim gerundio ist allerdings der Name an sich falsch, denn der Begriff
kommt aus dem Lateinischen und im Lateinischen ist das Gerundium ein Verbalsubstantiv, während es in den romanischen Sprachen NIE ein Verbalsubstantiv ist. Ein Gerundivum, ein Verbaladjektiv, ist es aber auch nicht. Es hat sich zwar
aus diesen Formen heraus entwickelt, ist aber ein Adverb. Will man sich klar machen, was ein Verbalsubstantiv bzw. ein Verbaladjektiv ist, kann man hilfsweise mit einem Partizip Präsens konstruieren. Das Ergebnis ist zwar nicht
teutonisch, aber man versteht, wovon eigentlich die Rede ist.
Verbalsubstantiv:
Die Lesenden sind schlauer.
Verbaladjektiv:
Die zu lesenden Bücher machen schlau.
Im Portugiesischen ist das gerundio aber ein Adverb bzw. ein Adjektiv. (Wer Spanisch spricht, ist jetzt verwundert. Im Portugiesischen kann aber das gerundio auch Adjektiv sein, wir kommen gleich darauf zurück.)
Lesend fuhr er Auto.
Es kann aber nicht substantiviert werden. Also die Lesenden, die Schreibenden, die Arbeitenden etc. geht, im Portugiesischen, nicht.
Bleibt nur noch die Frage, warum diesen "infiniten" Verbformen in Grammatiken der romanischen Sprachen soviel Aufmerksamkeit gewidmet wird. Das werden wir gleich sehen. Die "infiniten" Verbformen, insbesondere das gerundio, sind
mächtige Konstruktionen, mit denen sich alle möglichen Nebensätze drastisch verkürzen lassen.
Zwischen den einzelnen infinitiven Formen gibt es manchmal lustige Unterschiede, auf die wir noch zu sprechen kommen.