10.5.1 Die Relativadverbien onde, aonde


Pragmatisch betrachtet sind die Verhältnisse einfach. Das Relativadverb onde entspricht dem Relativadverb wo, adonde entspricht dem Relativadverb wohin. Beide beziehen sich auf einen Ort. Ein im übergeordneten Satz genannter Ort wird zu einer adverbialen Bestimmung des Ortes im Relativsatz.

A casa onde nasci vai ser recuperada.
Das Haus wo ich geboren wurde wird sein restauriert.
Das Haus, wo ich geboren wurde, wird restauriert werden.


Im Zusammenhang mit einer Richtung steht aonde.

O lugar aonde ele vai fica longe.
Der Ort, wohin sie geht, ist entfernt.
Der Ort, wo sie hingeht, ist weit entfernt.


So weit so einfach. Die Relativadverbien onde bzw. aonde sind adverbiale Bestimmungen des Ortes. Die Standardgrammatik des Portugiesischen lehnt die Verwendung von onde mit zeitlichem Bezug ab, auch wenn wir eine solche Verwendung auch bei sensibilisierten Sprechern finden.

Longe vão os tempos onde cada palavra era delicada, pensada três vezes antes de ser proferida.
Weit gehen die Zeiten wo jedes Wort war empfindlich, durchdacht drei Mal bevor wurde ausgesprochen.
Die Zeiten, wo jedes Wort noch heikel war, drei Mal gewogen wurde, bevor man es aussprach, sind längst vorbei.
Quelle: Jornalismo e Bom Senso


Viele Leute sind der Meinung, dass wo mit Zeitbezug ein Verstoß gegen die Standardgrammatik sei, Sätze dieses Typs also falsch seien.

Die Zeiten, wo wir noch unbeschwert vom Glück träumten, sind für immer vorbei.

Diese Meinung allerdings ist tatsächlich falsch, die Standardgrammatik des Deutschen akzeptiert diese Konstruktion. Die irrige Meinung kommt wohl dadurch zustande, dass es auch noch Konstruktionen vom Typ '...die Bücher, wo ich gelesen habe..', gibt, die tastächlich von der Standardgrammatik nicht akzeptiert werden. Die Leute suchen dann nach einer "logischen" Regel und diese lautet dann wo nur bei Ortsbezug, da ja auch mit dem Interrotgativpronomen wo nur nach einem Ort gefragt werden kann.

An die "Logik" klammern sich nun auch alle die, die sich berufen fühlen, ihren Schülern, Mitbürgern und sonstigen Zeitgenossen die Standardgrammatik beizubiegen. Fraglich ist nur, ob Logik hier die richtige Herangehendsweise ist. Hier beschreibt eine Lehrerin, was brasilianische Schüler bei der Ausarbeitung eine Aufsatzes tunlichst zu unterlassen haben und der Autor fragt sich, ob dies die Herangehensweise ist, mit der man eine Faszination für grammatikalische Fragestellungen entfacht. Auf eine Entfernung von 9000 km, Berlin - Brasilia, schwant dem Autor, dass die Schüler sich geistig aus dem Unterricht verabschieden. (Das Problem hat jetzt nichts mit Brasilien zu tun, es ist ein allgemeines Problem, aber das Beispiel hat der Autor gerade gefunden. Für diese "pragmatische" Herangehensweise lassen sich in jeder Sprache problemlos ein paar Tausend Beispiele finden.)

É um erro comum usar “onde” para se referir a não-lugares, aponta Ana Paula. “Os candidatos costumam jogar o pronome relativo onde em tudo o que é lugar. Porém, cuidado! Onde só retoma lugar", diz a professora. Caso o aluno queira retomar um nome que não é um lugar concreto, o correto é usar "em que", "no qual", "nos quais", "na qual" ou "nas quais". ton 4 Weit verbreitet ist der Fehler "wo" in Bezug auf etwas zu verwenden, was kein Ort ist, sagt Ana Paula. "Die Prüflinge verwenden gewöhnlich wo für alles mit Ortsbezug. Aber, Achtung! Wo referenziert nur Orte", sagt die Lehrerin. Will der Schüler etwas referenzieren, was kein Ort ist, dann heißt es richtigerweise "in dem", "in welchem", "in welchen", "in welcher", "in welchen".
Enem 2013: veja erros gramaticais comuns na redação e como evitá-los


Sie stellt also fest, dass onde mit Zeitbezug in der gesamten Gesellschaft oft verwendet und weit verbreitet ist. Wir können ja nicht annehmen, dass dies eine autochthone Erfindung der Schülerpopulation ist. Das es sich bei onde mit Zeitbezug um einen Fehler handelt, stellt sie einfach fest. Fehler allerdings ist ein merkwürdiger Begriff in diesem Zusammenhang. Eine Aussage ist dann fehlerhaft oder falsch, wenn sie entweder empirisch nicht belastbar oder logisch inkongruent ist. Eine simple Abweichung von der Norm ist kein Fehler. Es mag dann alle möglichen Gründe geben, diese Abweichung von der Norm abzulehnen, aber Fehler ist eine andere Kategorie. Die Abweichung von der Norm kann zu einem ästhetisch zweifelhaftem Ergebnis führen, ein Satz kann dadurch schwer verständlich werden oder Angehörigen anderer Gruppen schlicht unbekannt sein. Es mag also durchaus gewichtige Gründe geben, die Abweichung von der Norm abzulehnen, aber die Gründe, warum man diese Abweichung ablehnt, sollte man schon nennen. Der Autor findet diesen "Fehler" allerdings ziemlich interessant.

Wo mit einem Bezug zu einem Zeitraum findet sich in vielen Sprachen, z.B. auch im Deutschen und Spanischen, wie wir hier nachlesen können: Donde (con antecedente diferente al de lugar). Im Französischen ist die Verwendung von wo, où, mit Zeitbezug von der Standardgrammatik vollkommen akzeptiert. Wenn dieser "Fehler" in sehr vielen Sprachen weit verbreitet ist und teilweise von der Standardsprache auch akzeptiert ist, dann scheint diese Verwendung eine Konstruktion zu sein, die fest in der Art, wie das Gehirn die Realität verbalisiert, verankert zu sein. Grammatikalische Strukturen sind das Ergebnis, besonders deutlich wird das auch bei den Zeiten, siehe Kapitel 8, der Aspekte, die das Gehirn bei der Verbalisierung der Realität berücksichtigt sehen will und zwar völlig unabhängig davon, ob wir selber diese Aspekte besonders relevant finden. Mit der Forderung, dass sich die sprachliche Darstellung der Welt durch das Gehirn an eine normative Grammatik anpassen soll, stellt man die Dinge etwas auf den Kopf.

Hobby Linguisten neigen dazu, mit irgendeiner Logik zu argumentieren. "Wo" mit Zeitbezug soll z.B. unlogisch sein, weil wo als Interrogativpronomen nach einem Ort fragt. Das scheint aber die Franzosen nicht besonders zu interessieren. Im Französischen ist où mit Zeitbezug von der Standargrammatik akzeptiert. Im Deutschen beziehen sich die Relativadverbien wovon, worüber, wodurch, womit zwar auf Indefinita oder Sinzusammenhänge, diese aber können alles mögliche sein. Nach der Ana Logik wäre das ja dann falsch.

Das war etwas, wovon er nichts verstand.
Er hatte kein Geld mehr, wodurch er gezwungen wurde, seine Oldtimer zu verkaufen.

Ana bringt ihren Schülern bei, dass es Normen gibt, die nicht weiter hinterfragt werden können, wobei ein Verstoß gegen selbige mit einer schlechten Zensur sanktioniert wird. Das wiederum ist etwas, was Ana ihren Schülern besser nicht beibringt. Ihr pragmatisches Vorgehen mag zwar die Unterrichtsvorbereitung vereinfachen, bringt aber nichts. Man kann sich über die Sinnhaftigkeit bzw. Sinnlosigkeit von sprachlichen Normen unterhalten, manchmal mag es sinnvoll sein, sie einzuhalten, manchmal eben nicht. Aber vorher sollte man sich darüber unterhalten, wer sie setzt, welche Interessen bestehen und wie das Insistieren auf sprachlichen Normen motiviert ist.

Die Art der Grammatikvermittlung, die Anna vorschwebt, führt dazu, dass die Beschäftigung mit Grammatik als vollkommen sinnfreie Tätigkeit angesehen wird, mit fatalen Konsequenzen für Lehrbücher und andere didaktische Materialien. Lehrbücher, die auf eine systematische Vermittlung einer Fremdsprache abzielen, sind praktisch unverkäuflich. Alle Verlage haben hier in den letzten zwanzig Jahren einen Drehung um 180 Grad gemacht, betonen, dass die Sprache "intuitiv" vermittelt wird, ganz ohne Grammatik. Das hängt weniger damit zusammen, dass es in den letzten 20 Jahren eine bahnbrechende Entwicklung in der Sprachdidaktik gab, als damit, dass das Wort Grammatik derart negativ besetzt ist, dass es nicht mehr verwendet werden kann.

Onde kann auch mit den Präpositionen a, de, até, para und por verbunden werden. De + onde wird zu donde und a + onde zu aonde verschmolzen.

A cidade aonde vou é belíssima.
Die Stadt, wohin ich gehe, ist sehr schön.
A cidade donde vim é belíssima.
Die Stadt, woher ich komme, ist sehr schön.
A verdade é que não sabemos até onde ela nos leva.
Die Wahrheit ist, dass wir nicht wissen, wohin sie uns führt.
Não sabe para onde vai.
Sie weiß nicht, wohin sie geht.
Não esquecemos os lugares por onde passamos.
Wir vergessen die Orte nicht, durch die wir gingen.







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