Die Unterscheidung zwischen offenem e [ɛ] und geschlossenem e [e] dürfte Deutschen ebenfalls wenig Probleme bereiten, denn beide Laute gibt es im Deutschen. Das geschlossene e ist so ähnlich wie das e in kess.
(Wobei man sich fragen kann, ob manche Leute Tomaten auf den Ohren haben. In der letzten Rechtschreibreform wurde der heroische Entschluss gefasst, Stengel Stängel zu schreiben. Der Autor würde sagen, dass das e in Stengel zwar kein e wie in Emil ist, aber auch kein ä wie in ähnlich. Er würde sagen, es klingt eher wie e, also wie ein geschlossenes e, und so sollte man es auch schreiben. Dass sich das Wort von Stange ableitet, hält er für weitgehend irrelevant. Dem Autor erschließt sich noch nicht, wieso die Rechtschreibung schlüssiger bzw. einfacher wird, wenn man sich dafür entscheidet, etwas nicht so zu schreiben, wie man es spricht. Die meisten Schriften, Latein, Arabisch, Devanagari etc. bilden die Aussprache nach. Buchstaben stehen für Laute. Das ist die Grundidee. Je genauer diese Grundidee befolgt wird, desto besser. Die Schrift kann natürlich auch wie die ägyptischen Hieroglypen Ideen abbilden, aber dann wird es umständlich.)
Das deutsche offene e, also [ɛ], ist extrem offen und entspricht dem französischen offenem e in Wörtern wie vrai, für Details siehe französisches offenes e. Das italienische offene e ist weniger offen, siehe das italienische offene e. Bei Vokalen haben wir grundsätzlich das Problem, dass die Übergänge fließend sind, aber das offene e im Portugiesischen liegt auf jeden Fall näher beim deutschen ä wie in ähnlich und das geschlossene e ist näher beim geschlossenen e wie in Esel.
Das e in Esel ist kein e wie in Kefir aber auch kein ä wie in Käse. Das Kinn geht nach unten. Beim geschlossenen e jedoch, wie z.B. in England, bewegt sich das Kinn nicht. (Wenn Sie es nicht glauben, können Sie es ausprobieren. Machen Sie den Mund weit auf, also Kinn richtig nach unten und sagen Sie England. Sie kriegen den richtigen Laut so nicht hin. Sie werden etwas produzieren, was in Richtung ä geht.)
Es gibt zu der Frage, ob ein o und e geschlossen oder offen ausgesprochen wird eine intensive innerbrasilianische bzw. innerportugiesische Diskussion im Internet, wobei sowohl die Situation in Brasilien wie auch die Situation in Portugal unterschiedlich beurteilt wird.
Es ist also keineswegs so, dass wir in Portugal bzw. in Brasilien einen allgemein akzeptierten Standard haben. Das Wort obeso z.B. findet man sowohl mit geschlossenem wie auch mit offenem e. Man muss dazu als Außenstehender keine Meinung haben, aber es kann hilfreich sein, zu verstehen, um was es überhaupt geht.
Vereinzelt wird die Meinung vertreten, dass man obeso (fettleibig) mit geschlossenem e und offenem e aussprechen kann, beide Varianten also korrekt sind. Die Meinung muss man nicht teilen, aber auf jeden Fall verdeutlichen die zwei Varianten nochmal die Unterschiede. (Kurioserweise gibt es die gleiche Diskussion in Italien. Auch das Italienische kennt die Vokale e und o in einer offenen und geschlossenen Variante und es besteht bei manchen Wörtern keine Einigkeit hinsichtlich der Frage, wie e und o auszusprechen sind.
Eigenartigerweise gibt es eine solche Diskussion im Deutschen nicht. Wolle mit geschlossenem o wie in Rose wäre definitiv eigenartig.
(Bzw. solche Diskussion gäbe es nicht, wenn man die Schreibweise von Stängel nicht geändert hätte. Der Stängel ist ein Stengel und wer den Stengel für einen Stängel hält, hat Tomaten auf den Ohren.)
Dass es diese Diskussion in manchen Sprachen gibt und in anderen nicht, hat vielleicht was mit der Länge zu tun, mit der die Vokale gesprochen werden. Ist das geschlossene o wie in Rose, also das mit den gerundeten Lippen, prinzipiell auch länger, was im Deutschen ja der Fall ist, dann ist es vielleicht auch stabiler, soll heißen, die Menschheit einigt sich dann darauf, dass es geschlossen auszusprechen ist.
Beim geschlossenen e ist das nicht so eindeutig und hier würde der Autor sagen, dass die Aussprache auch im Deutschen etwas schwankend ist. Zwischen e wie Esel und ä ähnlich liegt noch so mancherlei. Sie können ja mal ein geschlossenes e wie in Esel, also eeeeeeeeeee bilden und dann den Mund immer weiter öffnen. Sie erhalten eine weite Bandbreite an Tönen.
Ist aber alles Kaffeesatz lesen für Fortgeschrittene. Es ist immer schwer zu sagen, warum sich bei manchen Vokalen eine bestimmte Aussprache durchsetzt und bei anderen nicht und die Instabilität lässt sich auch nicht monokausal erklären. Der Autor hätte noch ein paar andere Ideen, aber das führt zu nichts. Konsonanten sind auf jeden Fall stabiler als Vokale. Als stabil bezeichnen wir in diesem Kontext alle Phänomene, die von Muttersprachlern in gleicher Weise realisiert werden.
[ɛ]
obeso
(läge der Tondruck nicht sowieso auf dem e könnte man auch obéso schreiben)