18.2.2 Verkürzung von Nebensätzen mit einem gerundio
Die Verkürzung von Nebensätzen mit einem gerundio gehört zu den weiteren zahlreichen Themen, die theoretisch schwierig, praktisch aber sehr einfach sind. Der Grund, warum dies so einfach ist, ist immer der gleiche. Zumindest indogermanische Sprachen unterscheiden sich strukturell kaum. Dem portugiesischen gerundio entspricht also das Partizip Präsens im Deutschen. Zwar ist die Substitution eines Nebensatzes mit eine Partizip Präsens nicht standardsprachlich, aber der Sinn des Satzes ist ohne weiteres verständlich, wobei der Trick eben nur mit den Nebensätzen funktioniert, die auch im Portugiesischen mit einem gerundio ersetzt werden können. Mit z.B. Finalsätzen (Er arbeitet, damit er sich ein Auto kaufen kann => ~ Arbeitend, damit er sich ein Auto kaufen kann) funktioniert das Spiel nicht.
Will man sich also klar machen, welche Nebensätze mit einem gerundio verkürzt werden können, braucht man nur mit einem Partizip Präsens konstruieren. Ist der Satz verständlich, geht auch ein gerundio.
Standardsprachlich lassen sich im Deutschen nur wenige Nebensätze mit einem Partizip Präsens ersetzen, siehe Vergleich der infinitiven Verbformen participio presente, participio perfeito, infinitivo und gerundio zur Verkürzung von Nebensätzen. Am ehesten geht es noch mit Relativsätzen, die ja Adjektiven ähneln und von daher, wie der mit einem Relativpronomen eingeleitete Nebensatz, in Genus und Numerus mit dem Substantiv, auf welches sie sich beziehen übereinstimmen. Im Gegensatz zum gerundio und infinitivo wird das Partizip Präsens im Deutschen nämlich flektiert.
Von solchen Kleinigkeiten abgesehen, ist die generelle Regel aber sehr einfach. Ist der Satz mit einem Partizip Präsens noch verständlich, dann ist auch die Verkürzung mit einem Gerundio möglich.
Ist er das nicht, dann geht es auch nicht mit einem gerundio. Man braucht sich hier also keine Regeln zu merken. Das ist alles sehr einfach.
Bedingungssatz:
Viel essend, wird man dick.
Kausalsatz:
Müde seiend, ging er schlafen.
Konzessivsatz:
Schnell fahrend, kam er dennoch zu spät.
Modalsatz:
Ihr einen Brief schreibend, informierte er sie.
Konditionalsatz
Geld habend, ist vieles einfacher
Keiner dieser Sätze ist standardsprachlich korrekt, aber sie sind verständlich. Man kann auch nicht sagen, dass die Sätze nur deshalb verständlich sind, weil sich aus jedem Gestammel der Sinn erschließen lässt, wenn nur die Aussage naheliegend genug ist. Mit "Müde sein, ging er schlafen" hätten wir schon mehr Mühe, uns den Sinn zu erschließen. Wir sehen das deutlicher bei diesem Beispiel.
1) Licht anschalten, betrat er den Raum.
2) Licht anschaltend, betrat er den Raum.
Bei 1) fehlt ein Ausführender. Wir wissen nicht, ob er eine Lichtschranke überquerte und so das Licht automatisch anging, oder ob er es angemacht hat. Beim Partizip Präsens ist, wie beim gerundio, das Subjekt des Hauptsatzes Ausführender der Handlung. Wir wissen also bei 2), wer das Licht eingeschaltet hat. Wir haben hier also einen Zusammenhang, den der Deutsch Muttersprachler nicht gelernt hat, weil es die Konstruktion im Deutschen gar nicht gibt, aber er versteht ihn trotzdem, weil das im Gehirn so angelegt ist. Aus demselben Grund verwirrt uns dieser Satz.
Telefon klingelnd, betrat er den Raum.
Diesen Satz schlucken Deutsch Muttersprachler dann nicht mehr. Hier wird suggeriert, dass der Ausführende der Handlung klingeln das Subjekt des Satzes ist, was naheliegenderweise absurd ist. Der Deutsch Muttersprachler stellt also eine Verbindung her zwischen dem Ausführenden der Handlung der durch das Partizip Präsens beschriebenen Handlung und den Subjekt des Satzes, obwohl er einen solchen Zusammenhang nie gelernt hat, weil das Partizip Präsens im Deutschen keine Nebensätze verkürzen kann und er deshalb solche Konstruktionen, so er denn nicht eine Fremdsprache spricht, bei der sich Nebensätze mit einem gerundio verkürzen lassen, gar nicht kennt.
Das Argument, dass man sich die Bedeutung auch mit ein bisschen Phantasie erschließen kann und der Satz oben, "Licht anschaltend, betrat er den Raum" nur deshalb verstanden wird, sticht nicht. Denn die Bedeutung von "Telefon klingelnd, betrat er den Raum" können wir uns auch zusammenreimen, "Während das Telefon klingelte, betrat er den Raum". Das tun wir aber nicht. Diese Schleife ist im Gehirn nicht vorhanden.
Wir haben es also sozusagen mit einem Wissen zu tun, das quasi "angeboren" ist und vermutlich existiert ein solches allgemeines Wissen in allen Sprachen. Das zumindest ist die Theorie von Noam Chomsky. Ohne dieses Vorwissen könnten wir wahrscheinlich keine Sprache lernen, auch nicht die Muttersprache. Das heißt nicht, dass man jede Sprache ohne Grammatik lernen kann, aber Grammatik hat eher die Funktion, das im Laufe des Lebens verschüttete Wissen wieder zu aktivieren.